Elaine und ihr bester Freund Alex liegen auf dem Bett und schauen Pink Floyds „Pulse“ – Konzert.
Wobei es eigentlich nur Alex ist, der das Konzert tatsächlich anschaut; Elaine liegt eng an ihn geschmiegt in seinem Arm und hat die Augen geschlossen.
Gedankenverloren spielt ihre Hand mit seiner, ihre Finger greifen mal ineinander, streichen aneinander, entdecken sich.
So liegen sie seit etwas über zwei Stunden da, und das Kozert neigt sich dem Ende zu. Gerade läuft mit „Comfortably Numb“ das vorletzte Lied.
Alex weiß, dass es Elaines Lieblingslied von Pink Floyd ist, und trotzdem stellt er überrascht fest, dass Elaine kurz heftiger atmet, als das berühmte Solo erklingt.
Beim letzten Lied öffnet sie ihre Augen, lächelt Alex an und löst sich ein wenig aus der Umarmung: “ Jetzt darfst du wieder reden, das letzte Lied mag ich eh nicht so.“
„Oh, das ist gut, ich muss nämlich dringend mal verschwinden.“ – und ein wenig unromantisch beendet Alex die Nähe völlig und verschwindet für ein paar Augenblicke.
Als er wieder kommt, steht Elaine am offenen Fenster und schaut hinaus auf den dunklen Hinterhof, der vom blauschwarzen Sommerhimmel bedeckt ist.
„Die Luft riecht herrlich, so wie es im Sommer sein sollte.“ sagt sie, ohne sich umzudrehen. „Frisch und ein bisschen weich, nach Blüten und Erde, und nach ein bisschen Kerzenwachs“.
Die Nachbarn ein Stockwerk drunter haben Kerzen auf dem Balkon stehen, stellt Alex fest.
„So hat die Luft auch gerochen, als ich das Konzert zum ersten Mal gehört habe.“ sagt sie und wirkt, als wäre sie in ihren Gedanken dort.
Alex kennt das und ist zum Glück sensibel genug, sie jetzt nicht zu unterbrechen.
„Weißt du, es war ein Sommer, wie man ihn sich vorstellt. Sehr, sehr warm, mit viel Sonne und so.“ – sie kichert leise – „Dich gab es noch nicht, aber es gab einen anderen Alex. Mit dem war ich oft am See.“
Sie atmet einmal laut ein und wieder aus: „Der hieß Lars. Wir haben uns super verstanden, und der Sommer war auch ein bisschen traurig, weil wir beide ins Ausland gegangen sind. Danach war es nicht mehr so wie vorher…“ – ein kleiner Seufzer – „Aber das wussten wir zum Glück noch nicht. Wir haben das Leben einfach genossen, weißt du? Es gab ja nur die Schule und diese unendlich langen Nachmittage am See. Und wir waren nicht wirklich zusammen, aber kurz davor, das ist so ein tolles Gefühl. Man merkt, dass man sich versteht, und alles passt, es gibt noch keine Probleme. Man verabredet sich zu irgendwas – egal was, weil man sich selber genug ist.“
Elaine greift nach hinten und zieht Alex‘ Arme um sich herum.
„Es war schon irre, was alles in diesem Sommer passiert ist. Wir wussten, dass wir uns bald für ganz lange nicht mehr sehen würden, und das war gleichzeitig aufregend und traurig. Und dann die ganzen Sachen, die drumherum passiert sind.
Die ersten von uns hatten einen Führerschein, wir sind in die Disco gegangen, haben uns betrunken. Die besten Partys gab es bei Kathleen, die hatte einen tollen Garten. Und das Haus von denen, das hättest du sehen müssen! Die hatten so ein Stadthaus mit vielen Stockwerken und vielen kleinen Zimmern und Nischen. Manchmal habe ich mich heimlich ins Haus geschlichen, um mir die vielen Dinge anzusehen, die es dort gab.“
Elaine macht eine Pause.
„Einmal waren wir wieder im Garten, und es gab einen, der konnte „Comfortably Numb“ spielen. Das fand ich toll und habe es gleichzeitig gehasst, denn er hat das Solo ein bisschen anders gespielt, als ich es kannte. Und ich lag bei Lars im Arm, so ähnlich wie jetzt gerade. Wir hätten uns fast geküsst, aber keiner von uns hat sich so richtig getraut. Wir haben uns nie geküsst…“
Elaine erzählt noch mehr aus jenem Sommer, über all die großen und kleinen Dinge, die sie erlebt hat. Es ist, als hätte das Konzert eine Tür zu ihren Erinnerungen geöffnet, denn so lebendig hat Alex sie noch nie erzählen gehört.
Das Konzert wurde vor achtzehn Jahren aufgenommen. Elaine hat es vor gut 12 Jahren zum ersten Mail gehört. Ihr Leben hat sich seitdem geändert, immer und immer wieder. Diese Unbeschwertheit und Magie hat sie so nie mehr erlebt, und manchmal hat sie vergessen, dass es sie überhaupt gab.
Der Keyboarder von Pink Floyd ist inzwischen gestorben, die Band inoffiziell aufgelöst – aber die Musik wird bleiben, und in ihr wird für Elaine immer dieser eine besondere Sommer sein.
Oh mann.. So toll!!mir fehlen grad ein wenig die Worte deswegen dieses Gestottere.Aber zunächst soll das mal reichen ..
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Ich bin so berührt dass mir der Atem für einen Moment stockte.
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Vielen Dank für eure beiden Kommentare!
Elaine war mindestens ebenso bewegt, ich konnte ja ihren Redefluss kaum stoppen, als ich es aufgeschrieben habe 😉
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