Die Westfjorde empfangen uns mit tief stehender Sonne, Kühle und – wie soll es anders sein – spektakulären Regenbögen. Wir beschließen, wenigstens noch ein paar Kilometer selber zu fahren, nachdem die „Baldur“ bisher die Hauptarbeit gemacht hat.

Und so kommen wir in eine Landschaft, die im krassen Kontrast zur Kargheit des Hochlandes steht, ihm aber in ihrer Eindrücklichkeit um nichts nachsteht.

Wir fahren noch mal etwa 30 Kilometer Piste, die sich allerdings überhaupt nicht mit den Pisten im Hochland vergleichen lässt; sie ist frisch aufgeschottert und dementsprechend angenehm zu fahren. Nur bei den Abfahrten müssen wir sehr aufpassen; zugeschobene Schlaglöcher können einen schnell aus der Bahn werfen.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, schwitzend einen Pass hochzuackern, während der eiskalte Wind um die Nase weht. Aber die Landschaft, das Wetter, die Tageszeit, die Bewegung auf dem Rad passen perfekt zusammen; wir kommen gut voran.
Das nächste große Kapitel unserer Reise ist endgültig aufgeschlagen, und vielleicht bin ich auch deswegen in einer leicht feierlichen Stimmung. Die Musik von Sigur Rós kommt mir scheinbar aus dem Nichts in den Kopf – aber wie die Band oft betont, lässt sie sich ja von Landschaften wie dieser inspirieren. Kreise, die sich schließen.
Dynjandi
Nachdem wir den eindrucksvollen Geirþjófsfjörður gestreift haben, gibt es noch einen kurzen Pass zu überwinden, an dessen Ende Philipps GPS einen Campingplatz anzeigt, auf dem wir übernachten wollen.

Wir rollen also die letzten Meter herunter und links um einen Hügel herum, als wir eine Wiese mit Toilettenhäuschen entdecken, direkt am Fuß des Fjords. Einige Meter davor steht ein hellgrüner Golf, neben dem ein Mann wild gestikuliert. Philipp ist schon ein paar Meter weiter, als bei mir der Groschen fällt: das ist doch unser „Mitbewohner“ aus der Fähre! Er hatte uns bei der Überfahrt erzählt, dass er alleine für drei oder vier Wochen nach Island fahren und das Land mit seinem Auto erkunden wolle.
Es ist ein wirklich schöner Zufall, ihn hier zu treffen – und ein bisschen beruhigend. Man fragt sich ja schon, wie es den ganzen Menschen und ihren Plänen ergeht; erleben sie das, was sie sich erhoffen? Wie kommen sie voran, wie miteinander aus? Finden sie, was sie suchen?
Ein weiterer Kreis, der sich schließt.
Unsere Gespräche werden begleitet vom Rauschen des Wasserfalls, der sich hinter dem Campingplatz befindet: es ist der schöne Dynjandi, den Philipp und ich spontan, einstimmig und nachhaltig zum insgesamt tollsten Wasserfall Islands küren. Gullfoss ist mächtiger, Glymur spannender, Dynjandi in seiner Form, seiner Lage, dem was wir hier erlebt haben, am Besten.

Natürlich schauen wir uns nach dem Frühstück den Wasserfall an; der Weg dorthin ist gesäumt von Blaubeeren. Unser Freund hatte Recht: wenn man genau drunter steht, wirkt es, als käme der Wasserfall direkt aus dem Himmel. Wirklich beeindruckend, und ein guter Start in den Tag.

Manchmal stehe ich im Plattenladen und bin hin-und hergerissen zwischen den Gedanken, alle Alben, die ich gerne mag, nach vorne zu sortieren, damit möglichst viele Menschen sie hören können – oder ganz nach hinten, damit ich sie für mich allein habe.
Ungefähr so geht es mir mit dem Dynjandi. Ich möchte ihn gerne teilen, aber wenn ich an bräsige Touristen auf Plastikbohlen denke, läuft es mir kalt den Rücken herunter.
Schnee und Blaubären
Nach dem Frühstück, einem netten Gespräch mit unserem Freund und zwei spanischen Radfahrern (ich denke immer mal wieder an die netten Spanier, und ob sie nicht Lust gehabt hätten, zumindest ein paar Tage mitzukommen), stehen heute in der Hauptsache drei große Pässe auf dem Programm – einen davon können wir hoffentlich untertunneln.

Der erste Pass hat es in sich. Serpentine um Serpentine schlängelt sich die Piste nach oben; Steigungen von 10% und mehr sind hier normal. Es ist kalt, aber sonnig – also perfekt für uns.
Als wir schon auf ca. 400 Metern sind, kommt uns ein Auto entgegen. Der Fahrer bewundert unseren Mut und sportlichen Ehrgeiz und vergewissert sich, dass wir uns bewusst sind, dass es auf fast 700 Meter hoch geht. Ja sind wir, aber danke der Nachfrage. Es folgt das typische Austauschen dessen, was man denn so vorhat. Wir erzählen von der Radtour, er davon, dass er zum Dynjandi fahren und – Blaubeeren pflücken will. Er ist begeistert, dass wir dort so viele Beeren gesehen haben und wünscht uns alles Gute.
Und wir schlängeln uns weiter hoch.

Als wir irgendwann oben ankommen, sehen wir – Schnee. Wir vermuten, dass es Altschnee ist, erfahren aber später, dass er wohl eher ein kleines Überbleibsel des Sturms von vor ein paar Tagen ist. Man kann sich leicht vorstellen, dass hier im Winter nichts mehr geht; neben dem linken Straßenrand geht es steil bergauf, hinter dem rechten Straßenrand steil nach unten. Hier möchte ich nicht übers Eis schlittern – brauche ich aber auch nicht.

Ísafjörður
Der weitere Weg nach Ísafjörður bleibt von Highlights gespickt – wobei das eigentliche Highlight erst noch im Ziel kommt, aber das wissen wir noch nicht.
So überqueren wir den 66. Breitengrad; Ísafjörður selber wird unser nördlichster Campingplatz sein. Der Pass nach Ísafjörður ist inzwischen untertunnelt – und zwar von einem 9 Kilometer langen Tunnel, der sich nach etwa vier Kilometern teilt – eine Kreuzung inmitten eines Tunnels, das haben wir auch noch nicht erlebt.
Als wir in Ísafjörður sind, schaffen wir es gerade so noch in den Supermarkt; es wird Fischfrikadellen mit Kartoffeln und Remoulade geben – und natürlich Skyr.
Wir machen uns auf zum Zeltplatz, der wie alle anderen schon geschlossen hat. Zum Glück gibt es in unmittelbarer Nähe ein kleines Gehöft mit Museum und Restaurant, in dem wir uns Wasser holen können.
Die ersten Fischfrikadellen brutzeln bereits – und dann treffen wir Harald Paul.
Mehr Island:
Eine kleine Radtour(1) || Prolog(2) || Fæhre und Færöer(3) || Hochland I(4) || Hochland II(5) || Der „Golden Circle“ (6) Reykjavik (7) || Musik (8) || Westfjorde I (9)