Am Munidepot

Es ist ein herrlicher, sonniger Tag, eiskalt, der Boden und die Pflanzen glitzern im Raureif. Während die Sonnenstrahlen sich durch den Wald fächern und wir im Auto dahingleiten, hängt jeder seinen Gedanken nach.
„Militärisches Sperrgebiet“ steht auf den Schildern am Zaun, und mir kommen Worte in den Kopf, die ich vor ein paar Tagen von einem dünnen, wackligen Stimmchen erzählt bekommen habe: „…dann sind wir vom Tanklager hier in Farge zum Muni-Depot gefahren. Der Amerikaner hat ja streng aufgepasst. Nichts durften wir uns erlauben, nichts!“ und so weiter.
Im Radio dudelt Swingmusik; die Sendung beschäftigt sich mit der Geschichte des Rundfunks in Deutschland, und vor wenigen Minuten gab es auch das wohl dunkelste Kapitel unserer Geschichte: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ klingt erschreckend lebendig und in Zeiten Zehntausender Anhänger einer Bewegung von „Besorgen Bürgern aus der Mitte“ auch erschreckend aktuell. Ein Schauer jagt mir über den Rücken, doch für den Mann, der mir gegenüber sitzt, sind aktuelle Ereignisse weit entfernt. Er lächelt leicht entrückt und erzählt dann, wie er seine Frau – unsere seit einigen Jahren verstorbene Oma – kennengelernt hat: „In der Schützenhalle gab es einen Ball, das hatte der Amerikaner organisiert. Wir durften uns nicht danebenbenehmen, und manchmal waren sie auch ganz schön arrogant. Einer hatte sich bei uns unterm Tisch versteckt, aber den haben sie nicht gesehen, sie waren ja auch schon fast blind bei der Feier. EIN Mädchen tanzte ganz alleine, und das gefiel mir nicht. Ein Mädchen sollte nicht alleine tanzen; und ich wollte zu ihr hin, aber das ging ja nicht, der Amerikaner hatte ja ein Auge auf uns.“
Er erzählt dann noch weiter, stets mit einer Mischung aus Nachkriegspathos, Verklärung der Nazizeit („Aber wir hatten eine Gemeinschaft, sowas erlebt man heute nicht mehr.“) und dem augenscheinlichen Bedürfnis, seine Geschichte loszuwerden – vielleicht auch, weil ihm die heutige Welt Angst macht, weil er seit Omas Tod kontinuierlich Lebenswillen verloren hat, weil er nichts mehr isst, nichts mehr kann, nichts mehr will, nichts mehr hat – ausser seiner Geschichte.
Das NDR-Rundfunkorchester spielt einen Walzer, und seine Augen leuchten ein wenig auf: „Dazu haben wir früher gern getanzt.“ – und ein gemeiner, aber ehrlicher Gedanke schiebt sich in das Bild: „Und meine Mutter hat mir erzählt, dass ihr euch auch nicht davon habt abhalten lassen, als es meinem Vater dreckig ging und er eure Hilfe hätte brauchen können.“

Kann man einem Menschen böse sein, der offensichtlich nur noch das Ende abwartet? Muss man ihm verzeihen, weil man weiß, er hat nicht mehr lange?

Ich beiße mir auf die Zunge und höre weiter zu. Meinen Vater hat er lange nicht gesehen (dafür kann er aber nichts, mein Vater und sein Bruder haben sich gestritten) und er fragt sich, was er getan hat: „Nichts.“ machen meine Schwester und ich ihm klar, „Du hast nichts gemacht. Papa geht es gut, warum er nicht kommt, wissen wir nicht.“ – und insgeheim nehmen wir uns beide vor, mit ihm zu reden. Der Streit geht uns nichts an, aber er wirkt so verloren und hilflos.

Irgendwann gehen wir. Und lassen ein einsames, altes Männchen zurück, so dünn, dass sein Gesicht eingefallen ist; sein Schädel zeichnet sich deutlich unter der Haut ab. Unrasiert, ungekämmt. Er versinkt in seinem viel zu großen Oberteil, in dem sich sein Brustkorb viel zu sehr vom nicht mehr vorhandenen Bauch abhebt.

„Wenn Fliegeralarm war, mussten wir alle Fenster abdunkeln, nichts durfte nach draußen dringen.“

Er sitzt am Küchentisch, das Radio dudelt 50er-Jahre-Swing. Wir treten aus der Haustür, und mir fällt auf, dass alle Fenster sorgfältig mit Jalousien verschlossen sind.

Mein Leben im Seilgarten

Es ist hier gerade wieder etwas ruhiger, was unter Anderem daran liegt, dass ich eine Art Zwischenetappe eingelegt habe.
Die beiden Klausuren sind geschrieben und bestanden (sogar nicht mal so schlecht), und ab Mitte September betreue ich eine Klassenfahrt.
Also mache ich einen Klassiker studentischen Lebens und arbeite bei Mercedes am Fließband im Seilgarten.

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Um einmal ein wenig Werbung zu machen: es handelt sich um die Hoehenwegarena, einem Seilgarten bei Schneverdingen in der Lüneburger Heide – die Parcours sind hier – anders als in manch anderem Seilgarten – übereinander geschichtet, sodass zwischen 50 cm und 17 Metern Höhe alles dabei ist.
Und leider – bzw. aus Chefsicht gottseidank – ist so viel zu tun, dass ich entgegen meinen ursprünglichen Vorstellungen eher nicht zum Bloggen komme…
Wobei die Arbeit trotz der Tatsache, dass sie verdammt anstrengend ist, recht viel Spaß macht – die Kunden sind nett, die Kollegen auch, und ich verbringe den ganzen Tag an der frischen Luft in der Sonne.
Um Vitamin D muss ich mir also keine Gedanken machen…
Und so stehe ich morgens auf, frühstücke und radele die 500 Meter in die Arena, wo ich alles für den Tag vorbereite – Gurte aufhängen, Kaffee kochen, Eis nachfüllen, die Anlage auf Klettertauglichkeit überprüfen, und spätestens jetzt sind auch die ersten Gäste da, denen ich die Gurte anziehe, in das Sicherungssystem einweise und denen ich überhaupt mit Rat und Tat zur Seite stehe.
Dabei ist mein Ziel nicht nur, den Gästen weiterzuhelfen, wenn sie Fragen haben, sondern so aufmerksam zu sein, dass ich sie anspreche, bevor sie Fragen haben…
Irgendwann am frühen Abend schaffe ich es dann mal, zum zweiten Mal am Tag auf die Uhr zu schauen. Die Hitze und die Sonne lassen langsam ein bisschen nach, die Gäste ebenfalls, und alles entspannt sich ein bisschen.
Stimmt der Umsatz, ist der Chef gut drauf, wenn nicht… nunja. Sollte das Fell etwas dicker sein…
Und dann kann ich irgendwann die Gurte wieder einpacken, alles aufräumen und für den nächsten Tag vorbereiten.
Abends falle ich recht müde in den Schlafsack und schlafe ein, bevor ich ein Buch lesen kann (was ich eigentlich vorhatte, so viele Bücher, so viel zu lesen).

Denn der nächste Morgen kommt bestimmt.

The Temper Trap – Trembling Hands

In meinem Kopf läuft ein Film.

Und er soll für immer mit diesem Lied vertont werden.

Turning the ground
I once used to know
People are strangers
Same as before
Streets look familiar
I remember the part
Where I buried my head
So deep in my hands

This here city
Has fall along with me once
Won’t find no angels
Selling back to the lost
This here place
Is too small for two
It tool one to realize
When dreams makes this hardest
Are not meant to come true

So throw me a line
Somebody out there help me
I’m on my own
I’m on my own
Throw me a line
And I have come here
To win you again
With trembling hands „The Temper Trap – Trembling Hands“ weiterlesen

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