Kletterausflug ins Steinerne Meer (2/2)

Kaum am Kärlingerhaus angekommen, wirft Christian seinen Rucksack förmlich von sich und studiert die zahlreichen Schilder, welche Wander- und Kletterpfade in der Nähe ausweisen. Christian kommt zurück und meint: „Also, der interessanteste Weg ist vermutlich der Funtenseetauern. Schwarz¹, drei Stunden lang, da sind wir rechtzeitig zum Abendessen wieder da. Wollen wir los?“

(Fast) auf den Funtenseetauern

Philipp und ich sind ein wenig erstaunt über Christians Aktionismus. Der ist doch sonst eher… gemütlich?!? Beim Bouldern und Klettern anscheinend aber nicht, und so machen wir uns alsbald wieder auf die Socken. Der Weg führt zunächst wieder über die große Ebene am See vorbei und entlang eines Bachlaufes hinauf auf eine Scharte. Hier ist es noch sehr grün; es gibt nicht nur viele Bäume, sondern auch Büsche und Gräser, die (noch) in vollem Saft stehen. Der Herbst deutet sich durch Schattierungen von Grün und Ocker zum sachten Braun hin an. Sehr schick, das Ganze. Auf einer Wiese, die eine Art kleine Hochebene darstellt, machen wir eine Pause.

Nach der Wiese wird es deutlich steiler; zwischen den spärlicher werdenden Gräsern blitzen immer wieder Felsen hervor, und ab und an braucht man dann doch die Hände. Abermals kommt uns ein Trailrunner entgegen. Nach einiger Kletterei schaffen wir es dann aber bis auf den Grat. Zur Orientierung: wir stehen im linken oberen Bild ganz oben auf der Spitze, dort wo rechts die Kerbe zu sehen ist. Zum Gipfel des Funtenseetauern geht es noch ein gutes Stück weiter rechts auf dem Grat entlang, doch Christian und ich haben an dieser Stelle genug. Wenn man rittlings wo drauf sitzt und die Beine baumeln lassen kann, dann ist der Gehweg sehr schmal. Philipp entscheidet sich für die Erstürmung des Gipfels, und es ist in der Tat recht spannend, ihn aus etwas Entfernung dabei zu beobachten, wie er oben entlang hüpft. Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt schon an den Abstieg gemacht, mühselig und ein wenig schmerzhaft, denn mein Knie mag Abstiege anscheinend überhaupt nicht. Klettern geht interessanterweise, und so versuche ich, rückwärts wieder abzuklettern.

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Philipp beweist erstklassige Haltung auch auf dem Grat.

Der wohlbehalten zurückgekehrte Philipp (nun mit einem Leuchten in den Augen) und Christian holen mich ein, und gemeinsam geht es zurück zur Hütte – die sich inzwischen merklich gefüllt hat. Wir verleben einen gemütlichen Abend bei gutem Essen. „Kletterausflug ins Steinerne Meer (2/2)“ weiterlesen

Kletterausflug ins Steinerne Meer (1/2)

Das „Steinerne Meer“ ist ein Hochplateau in den Berchtesgadener Alpen und liegt zum Teil im südlichen Bayern, teilweise in nördlichen Österreich. Es ist von zahlreichen Bergen eingerahmt; der bekannteste dürfte der Watzmann sein. Mein Radreisepartner Philipp machte dort einen Gletscherkurs und fragte im Zuge dessen, ob ich nicht Lust auf ein wenig Kletterei hätte.

Nach dem Gletscher kommen die Freunde

Lust hatte ich auf jeden Fall, und im Laufe der Planungen für das Unterfangen begeisterte sich auch ein weiterer Freund, Christian, für unsere Tour. Dass er ein Auto zur Verfügung hatte, würde – neben seiner angenehmen Art – die Logistik unserer Reise deutlich vereinfachen; so setzten wir uns vergangenen Montag ins Auto und brausten hinunter nach Saalfelden, wo wir Philipp trafen.

Übernachtung in der Peter-Wiechenthaler-Hütte

Gleich am Abend steigen wir noch die 1.000 Höhenmeter zur Peter-Wiechenthaler-Hütte in 1.752 Metern auf – wie beim Radfahren fasziniert mich, wie schnell der ganze Körper damit beschäftigt ist, sein eigenes Gewicht und das des Rucksacks nach oben zu bringen – und dementsprechend zu schwitzen. Dabei ist dieser Aufstieg recht einfach und harmlos, jedenfalls verglichen mit dem, was noch kommen wird. Nach gut zwei Stunden können wir den Ausblick auf das nächtliche Saalfelden aus der gemütlichen Urigkeit der Hütte heraus genießen und stellen den Flüssigkeitshaushalt fachgerecht unter Zuhilfenahme lokal hergestellter isotonischer Getränke wieder her, während wir unsere nächsten Tage planen.

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Peter-Wiechenthaler-Hütte bei traumhaftem Wetter.

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An der Kletterwand

In der Boulderhalle ist es immer laut. Es läuft Musik – meistens irgendeine Form von Techno oder House, das muss bei den hippen Profis anscheinend so sein – oft sind sehr viele Menschen da, reden miteinander, feuern sich gegenseitig an, bouldern. Ein Gewirr aus Melodien, Stimmen, Geräuschen, das dem visuellen Durcheinander entspricht, bestehend aus bunten Grifffarben, den grün und weiß gestrichenen Wänden, den vielfältig gekleideten Menschen und dem allgegenwärtigen Nebel aus Chalk, also dem Magnesium, das man zur Trocknung der Hände benutzt.

Die völlige Reizüberflutung.

Als ich an die Wand trete, um die nächste Route zu bouldern, interessiert mich das alles nicht mehr. Ich wische die Hände an der Hose ab – gleichwohl, um den Schweiß abzutrocknen, als auch Ritual, um mich zu fokussieren – und konzentriere mich auf die Startgriffe. Heute grau, das ist der schwerste Schwierigkeitsgrad.
Mit der Linken nehme ich die beiden Griffe in Schulterhöhe in die Zange, die Rechte greift die winzige Tasche ein wenig tiefer. Den linken Fuß stelle ich auf den kleinen Tritt gerade über der Matte, spanne den ganzen Körper an. Den rechten Fuß werde ich, sobald ich mich hochgehoben habe, als Stütze in die Wand rechts stellen.

Und schon bin ich im Tunnel. Die Hintergrundkulisse schrumpft auf ein Rauschen zusammen.

Ich sehe meine Route klar vor mir, weiß, welche Bewegungen ich machen muss, wo Schwierigkeiten sind, wo ich Hände und Füße hinsetze. Ab jetzt zählt, Schritt für Schritt, nur noch der nächste Stein. Ich hänge an den Händen, stelle Rechts in die Wand und richte mich mit Links auf. Erhöhe den Druck in der linken Hand, denn die rechte Hand löse ich nun, um den großen Griff rechts über mir zu greifen. Eine Zange, also auch hier Druck. Nur mit den Händen kann ich mich nicht halten; ich setze also den rechten Fuß auf einen kleinen Tritt nach links und klemme den Hacken des rechten Fußes hinter die gerade freigewordene Tasche. Jetzt kann ich die linke Hand neben die Rechte setzen, um mit der Rechten an den nächsten großen Griff auf gleicher Höhe weiter rechts zu kommen. Ich spanne die linke Wade an, denn der rechte Fuß wird sich lösen, und wenn ich dann links den Halt verliere, falle ich aus der Route.

Mittlerweile sind auch alle Bauchmuskeln so angespannt, dass ich bewusst ans Atmen denken muss.

Ich setze die rechte Hand um, Vollspannung. Jetzt muss es schnell gehen. Linker Fuß zieht, Rechts sucht sich den flachen Tritt weiter unten. Ich kann nicht schauen, fühle ihn aber. Drauf stehen kann ich nicht, aber er gibt mir genug Halt, dass ich nicht abrutsche. Die Hände schulterbreit auseinander seitlich auf die Griffe gelegt, müssen sie nun mein Gewicht auffangen, denn den linken Fuß setze ich nun auf den Startgriff der rechten Hand. Das heißt auch, dass sich mein Körper so dreht, dass die Fingerspitzen der rechten Hand zu mir zeigen, den Ellenbogen von mir weggedreht. Der anstrengendste Zug der ganzen Route.

Ich weiß, ich kann die Kraft vielleicht fünf Sekunden aufbringen, danach werde ich
abrutschen – ob ich will, oder nicht.

Der Fuß ist umgesetzt, der rechte Arm unter Volllast. Ich spüre, wie sehr die Muskeln beansprucht werden und fühle förmlich, wie die Energie nachlässt. Aber ich kann mich das kleine Stück hochziehen und mich über die Diagonale von rechter Hand und linkem Fuß so nach rechts drehen, dass ich mit der linken Hand den kleinen Untergriff über mir greifen kann. Ich schiebe mich weiter hoch, drehe mich jetzt nach links, setze den linken Fuß auf den Griff, den ich eben mit links festgehalten habe und drehe mich so weit, dass die rechte Hand Überkreuz nach links den Griff packen kann. Den rechten Fuß auf den freigewordenen Griff der rechten Hand stellen, und kurz durchschnaufen. Das war die komplexeste und anstrengendste Bewegungsfolge.
Ich nutze meinen Schwung und greife mit Links gleich an die Kante links. Rechts kann jetzt dazukommen – mein Körper sieht jetzt aus wie ein C, das nach links gedreht ist. Den linken Fuß kann ich jetzt wieder auf den Startgriff der rechten Hand stellen, den rechts drehe ich so ein, dass ich mit den Zehen hinter den linken großen Griff haken kann – ich muss mich mit meinem Oberkörper nach links beugen, um den Schlussgriff berühren zu können; der ist aber so flach, dass ich ihn nicht halten kann, das macht also der rechte Fuß.
Ich beuge mich langsam rüber, immer darauf achten, dass ich mit Links nicht abrutsche und Rechts zieht, zieht, zieht. Ganz langsam kann ich die linke Hand an den Schlussgriff führen, und nachdem Rechts noch mehr zieht und der Körper stabilisiert ist, führe ich die rechte Hand nach. Geschafft!

Keine Ahnung, ob, und falls ja, welche Musik lief.

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