José González und String Theory im Funkhaus

Man muss ein wenig Angst haben um die Gesundheit des Dirigenten, so sehr schwingt er den Taktstock, hüpft, wiegt und bewegt er sich zum Rhythmus. Mit aufforderndem Winken versucht er, das Crescendo der Bläser noch etwas zu forcieren, dann die Streicher zu etwas expressiverem Spiel zu bewegen, während das Schlagwerk schon seit Minuten einen drängenden Drum’n’Bass-Rhythmus spielt und damit „Down the Line“ einen ganz neuen Charakter verleiht. Das Orchester hat Spaß, das sieht man. Spaß an der Musik, Spaß an seinem Dirigenten und Spaß an dieser Mischung aus Klassik und Pop. Gut zwanzig Musiker auf der Bühne sind konzentriert am Arbeiten – nur der schmale Mann mit dem schwarzen Vollbart und der Akkustikgitarre vorne links neben dem Dirigenten scheint vollkommen entspannt seine hypnotischen Licks zu spielen. In den ruhigeren Momenten wirken Gesang und Gitarrenspiel gleichermaßen sanft und verletzlich – und dabei tragen sie wunderschöne, bisweilen schmerzhafte Melodien und Texte – doch jetzt gerade ist José González in seinem Element und fühlt sich wohl damit, Teil des großen Ganzen zu sein.

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Eindrücke vom Lollapalooza Berlin 2016 – die Bands

Ich war am vergangenen Wochenende beim Lollapalooza Berlin. Es hatte im Vorfeld ja einige Kontroversen um den Sinn und Unsinn eines Festivals im Treptower Park gegeben; in diesem Beitrag soll es zunächst nur um die Musiker gehen, die ich gesehen habe.

Aurora

Die norwegische Elfe Aurora Aksnes dürfte vielen durch den Song „Running With The Wolves“ bekannt sein, der von einem Telefondienstleister vereinnahmt wurde. Sie durfte mittags auf der Main Stage auftreten und hat einen mehr als soliden, sympatischen Auftritt hingelegt. Mithilfe ihres sphärischen Folk-Pop und einiger wilder Tanzeinlagen schaffte sie es, die große Bühne zu beleben – ihre scheinbar unbekümmerte Art, ihre Freude und der zeitweise an Dolores O’Riordan erinnernde Gesang waren sehr unterhaltsam.

The Temper Trap

„Es ist verdammt heiß hier. Aber ich behalte mein Hemd an – damit ich gut aussehe für euch.“ – dass der Temper Trap-Frontmann Dougy Mandagi sein Handwerk beherrscht, machte er nicht nur mit dieser Ansage deutlich, sondern dem ganzen Auftritt. Der Falsetto-Gesang – an wenigen Stellen leicht wacklig – die spielfreudige Band und zwei Ausflüge ins Publikum sorgten dafür, dass der mit einer Stunde ohnehin knapp bemessene Auftritt sehr kurzweilig wirkte. Dabei spielten sie unter anderem die wohlbekannten „Sweet Disposition“ und „Trembling Hands“, als auch einige Singles aus dem neuen Album. Ebenso wie das Hemd die ganze Zeit an blieb, war auch der Auftritt sehr gelungen.

Es lohnt sich übrigens sehr, in den Stream des australischen Radiosenders triple j hereinzuhören.

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Der Stammgast

Er ist ein unscheinbares Männchen, wie er so dasteht. Klein und dürr, was die ausgeblichene Bluejeans und der zu große graue Hoodie kaum zu verbergen vermögen.
Er trägt immer einen Rucksack und eine anthrazitfarbene Basecap. Seine leicht abstehenden Ohren und die Brille, deren Gläser wie Lupen wirken, sorgen mit seiner Blässe dafür, dass sein optisches Erscheinungsbild gleichermaßen wiedererkennbar, wie unattrakiv wirkt. Eine Weile lang trug er rote Teufelshörner aus Plastik, auf denen „AC/DC“ stand, doch die hat er inzwischen abgeschafft.

Er ist immer kurz nach Einlass da, stellt sich in die Mitte des Raumes und nickt begeistert, wenn er das Bühnenbild sieht, so wie er auch während des Konzerts seine Begeisterung durch Headbangen und das Anstupsen anderer Konzertbesucher ausdrückt, denen er mit Daumen hoch signalisiert, dass das gerade voll geil ist. Was die vielleicht auch finden, aber meistens nicht so mit ihm teilen wollen; genauso wie er der Abenddienstleitung – die ihn natürlich auch kennt – regelmäßig selbstgebrannte CDs mitbrachte. Was besagte Person zwar als Geste rührend fand, aber mit der Musik relativ wenig anfangen konnte.

Ich kenne seinen Musikgeschmack inzwischen recht gut; bei Konzerten eines bestimmten Veranstalters (dessen Anweisung an das Licht lautet: „Egal, Hauptsache bunt und wackelt.“ – und irgendwie treten die Bands auch so auf…) ist er grundsätzlich immer da, und im Großen und Ganzen steht er eher auf Hardrock, als auf Death Metal.

Ich weiß also inzwischen ziemlich gut, wann er da sein wird, und dementsprechend erwarte ich auch, dass er unter den ersten 10, 20 Zuschauern ist. Wir begrüßen uns per Handschlag, und als er einmal nicht da war, obwohl ich ihn erwartete – nunja, fehlte etwas.

Er ist ein ziemlich netter Kerl, und nach dem, was er erzählt, gibt er fast seinen gesamten Lohn für Konzerte aus, weil er fast jeden Tag auf Konzerten ist. Er ist einer von diesen Menschen, die so ein bisschen in ihrer eigenen Welt leben, aber vielleicht muss er das auch, um in dieser Welt klarzukommen. Ich habe ihn noch nie mit Freunden gesehen, und inzwischen tut es mir ein bisschen weh, in den Augen anderer Menschen zunächst Ablehnung zu sehen, wenn er auf sie zukommt. Wer weiß, mit wem er sonst reden kann.

Er ist nicht der einzige Stammgast, aber er bringt mich zum Nachdenken, denn er scheint ohne Hintergedanken die Musik zu hören und Kontakte knüpfen zu wollen, und man fragt sich unwillkürlich, wie man mit den Menschen umgeht, die einen so umgeben.

Und vor allem: wo man selber dieser Stammgast ist.

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