#30daymusicchallenge – Tag 23: Ein Song, von dem du denkst, jede/r sollte ihn hören.

Herrje. So missionarisch bin ich doch nicht. Ich will gar nicht jeder/jedem einen Song aufdrücken. Ich will ja auch nicht, dass mir welche aufgedrückt werden. Aber wenn es einen Song gibt, den ich immer wieder gerne Menschen zeige, dann den hier:

Er braucht seine Zeit, sich zu entfalten. Er ist sehr langsam aufgebaut, wird behutsam gesteigert. Aber er ist jede Sekunde wert, von überwältigender Schönheit und Traurigkeit. Als ich in Island unterwegs war, kam er mir in den Westfjorden in den Kopf, und ich habe verstanden, dass dieser Song nur hier geboren sein kann. Konkret war es das Crescendo ab 7:30, das mich damals fast zu Tränen gerührt hat.

 

Sólstafir – Ótta (2014)

oder: ein typisch isländischer Tag einer typisch isländischen Band.

solstafir„Ótta“ (Dämmerung) ist das fünfte Album der isländischen Rockband Sólstafir und folgt thematisch einem alten isländischen System der Tageseinteilung: acht Blöcke zu je drei Stunden, das ergibt acht Songs, deren Titel beginnend mit Mitternacht einem Tag folgen – abermals bis Mitternacht.

Und so beginnt das Album leise und fast verhalten. Der Sänger Aðalbjörn Tryggvason flüstert beinahe, begleitet von melancholischen Klaviertönen – bis nach zwei Minuten das Soundgewitter auf den Hörer einbricht, bestehend aus treibendem Schlagzeug, massiven Gitarrenwänden, tiefem Bass – und immer mal wieder einem Banjo, wie im schön ausbalancierten, vielschichtigem Titeltrack „Ótta“. Gerade dieses kleine Kunstwerk zeigt deutlich die Stärken der Band: Er ist eingängig, aber komplex, folgt seiner eigenen Dramaturgie; brachialer Gitarrensound und kleine Details wie das erwähnte Banjo sorgen für neuneinhalb Minuten Kopfkino. Metalartige Momente und Stille wechseln sich ab, sodass dieses Kino auch Platz im Kopf hat.
Der Vergleich zu Sigur Rós liegt nahe, wird aber beiden Bands nicht gerecht: es gibt einzelne Elemente wie die gestrichen gespielte Gitarre oder den Wechsel aus Crescendo/Decrescendo, die maßgeblich den Sound beider Bands bestimmen; während Sigur Rós aber vergleichsweise langsamen, atmosphärisch-träumerischen Pop macht, hört man Sólstafir an, dass sie aus einer deutlich härteren Ecke stammen.
Dass sie dennoch ebenfalls sehr atmosphärisch klingen, ist große Kunst.
„Miðdegi“ und „Nón“ sind schnell, ruhelos und hart, und insbesondere der Beginn von „Nón“ klingt wie wütender Post-Hardcore – bevor sich der Song völlig zurückzieht und einer sanften Klaviermelodie Platz macht – die sich selber dann völlig natürlich in ein treibendes Schlagzeug und den geschrieenen Gesang einfügt – groß, ebenso wie das tolle Riff am Ende.Es geht wieder gegen Mitternacht; das sehr stille und melancholische „Miðaftann“ bereitet den Weg für „Náttmál“, dem mit etwas über 11 Minuten längsten Stück des Albums, das eine Art Querschnitt des bereits Gehörten darstellt und noch mal deutlich zeigt, zu was die Band in der Lage ist.

Großes Kino.

Offizielle Homepage: www.solstafir.net
Das Album bei Bandcamp hören: http://solstafir.bandcamp.com/

Island 2013 – Musik (8)

Island hat eine sehr lebendige Musikszene. Es gibt dort den Spruch, dass jede(r) Zweite nebenbei Musik macht – und wenn man sich anschaut, wie viele Bands und Musiker es gibt, dann muss es auch so sein – so groß ist die Bevölkerung nicht.
Philipp und ich verbrachten einen Samstag Nachmittag im 12tonar, wo wir einen Espresso angeboten bekamen und alles hören durften, was dort verkauft wurde – zu diesem Zweck gab es bequeme Sofas und CD-Player.
Ein wahres Paradies; und auch wenn ich auf youtube-Videos verlinke, tut ihr euch und dem 12tonar (und letzten Endes auch mir) einen großen Gefallen, wenn ihr euch die Musik, die euch gefällt, dort kauft (wenn der Shop wieder online ist) – oder über Rough Trade ordert und amazon aussen vor lasst.
Die Liste erhebt übrigens keinesfalls den Anspruch der Vollständigkeit; sie ist nur ein kleines Blitzlicht dessen, was wir im Laden und auf dem Konzert zu hören bekamen.

Die Bekannten

Björk
Über Björk muss man wohl nicht mehr viele Worte verlieren. Vermutlich der bekannteste (und älteste) musikalische Export Islands. Ihr experimenteller Pop in Verbindung mit der charakteristischen Stimme hat trotz seiner Variabilität einen hohen Wiedererkennungswert. Aktuell ist sie mit dem Album „Biophilia“ auf Tour.

Sigur Rós
Sigur Rós ist eine der Bands, die mein Leben schon sehr, sehr lange begleiten. Ich mag die alten Alben sehr gerne und hatte deswegen nach dem fröhlichen, eingängigen „Takk“ und dem ebenfalls sehr eingängigen „Með suð í eyrum við spilum endalaust“ ein bisschen das Interesse verloren – ich gönnte ihnen den Erfolg, war aber ein wenig enttäuscht, dass die Band im Mainstream angekommen zu sein schien.
Natürlich habe ich trotzdem mit dem Menschen im 12tonar über das neue Album „Kveikur“ gesprochen und war baff nach dem ersten Anhören.
Düster geht es zu, mit einer Wall of Sound, die fast schon bedrückend wirkt; Jónsis Stimme kämpft sich durch einen Haufen Effekte und eben diese Wall of Sound wie durch einen Sturm.
„Kveikur“ hat viele solcher Elemente; das Album orientiert sich in der Stimmung an den alten Alben, der Sound aber klingt angenehm zeitgenössisch. Die Songs sind stringenter, nicht mehr ganz so lang (schade eigentlich…) und halten das hohe Level vom Eingangssong „Brennistein“ nicht immer, aber es ist ein Album, das wächst, je mehr man es hört – und unbedingt empfehlenswert.

Of Monsters And Men
Wir hatten das Glück, Of Monsters And Men live in der Nähe von Reykjavík sehen zu können – für umsonst und draußen; die Band hatte nach der Welttournee ein Dankeschön-Konzert für ihre Heimatstadt auf die Beine gestellt – sehr sympatisch.
Ich kannte bis dato nur die bis zum Erbrechen gespielte Single „Little Talks“; die Band schien mir auf der von Mumford and Sons losgetretenen Indie-Folk-Welle mitzuschwimmen.
Und folkig ist die Musik auch von der Instrumentierung her (Klavier, Trompete, Akkustik-Gitarre, etc.), allerdings doch eher Indie-Rock mit folkigen Einsprengseln – und die Musik ist gut. Richtig gut.
Verspielt, eingängig, ehrlich, mit interessanten kleinen Details wie z.B. die leicht atonale Melodie des Glockenspiels am Ende von „Yellow Light“:


Definitiv ein Gewinn; ich bin sehr gespannt auf das zweite Album.

múm
Noch immer eher Geheimtipp – aber schon seit 1997 aktiv – ist múm. Ihre Musik ist sehr langsam, ruhig und verträumt, aber stellenweise experimentell, mit ungewöhnlichen Klängen.

Emiliana Torrini
Wer denkt beim klassisch-isländischen Namen des Popsternchens nicht unweigerlich an die Vulkaninsel im hohen Norden? Doch auch sie kommt aus Island und hat einen gewissen Bekanntheitsgrad, was wohl auch an der perfekt durchproduzierten (und für mich eher langweiligen) Musik liegt.

Ólafur Arnalds
Ist ein anscheinend extrem aktiver Musiker. Ich habe ihn mir nicht angehört, finde aber, er gehört in diese Liste mit hinein. Seine Musik ist ebenfalls sehr ruhig, sehr ambient – eher für erwachsenere Menschen als mich 🙂

Die Unbekannten

Sóley
Beim ersten Durchhören von Sóleys neuem Album „We Sink“ drängte sich der Vergleich zu Agnes Obel förmlich auf. Frauenstimme, Klavier, intime Songs. Hörenswert ist sie allemal, und warum, ist in dieser Review gut beschrieben.

amiina
Deutlich ungewöhnlicher und eher nur für spezielle Stimmungen ist das neueste Werk von Amiina – das sogenannte „Lighthouse Project“. Die Gruppe ist live in verschiedenen Leuchttürmen aufgetreten und hat auch dort die Musik aufgenommen, um die besondere Stimmung der Räume aufzufangen. Mir ein bisschen zu ruhige, aber schöne Musik.
Übrigens haben die Mädels auch an „Kveikur“ mitgewirkt…

Rökkuró
Ebenfalls sehr ruhig und mit folkigem Einschlag, aber einer schönen Stimme, hatte Rökkuró es nicht leicht, sich im Laden beim Probehören dauerhaft im Ohr festzusetzen.

Hide Your Kids
Eine Band aus sehr jungen Menschen, und die erste Vorband von OMAM. Die Jungs und Mädchen wissen mit ihren Instrumenten umzugehen, was mir gefallen hat – und gute Songs können sie auch noch schreiben.
https://soundcloud.com/hideyourkidsofficial

Moses Hightower
Zweite Vorband von OMAM und nicht ganz so rockig wie Hide Your Kids – ihr Soulpop wirkte vergleichsweise lahm, auch wenn die Musik an sich nicht schlecht ist und sich gut hören lässt.

Mugison
Die dritte Vorband von OMAM und wahnsinnig unterhaltsam. Alle Mitglieder tragen (teilweise sehr) lange Vollbärte, und der Schlagzeuger allein war mit seinen wilden Gesten den Auftritt wert. Er machte mächtig Dampf – wie auch der Rest der Band. Von Folk bis Metal schaffen sie es, alle möglichen Stilrichtungen in einem Song abzudecken, inklusive Sänger. Höchst unterhaltsam und nur von Of Monsters And Men übertroffen.

Apparat Organ Quartet
Vier Männer. Vier Orgeln. Es scheint eine maßgebliche Eigenschaft der isländischen Musik zu sein, möglichst experimentell daherzukommen. Hinter dem Gewand versteckt sich solider Indierock.

Pétur Ben
Für mich eine DER Entdeckungen. Pétur Ben macht Rockmusik, die gerne mal schnell und laut, dann wieder schmerzvoll und melancholisch ist. Sein neues Album scheint regelrecht energiegeladen und hat mich stark an Patrick Wolf erinnert – der ebenfalls sehr hörenswert ist.
Livekonzert (2009) im WDR Rockpalast.

Mehr Island:
Eine kleine Radtour(1) || Prolog(2) || Fæhre und Færöer(3) || Hochland I(4) || Hochland II(5) || Der „Golden Circle“ (6) Reykjavik (7) || Musik (8) || Westfjorde I (9)

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