#30daymusicchallenge – Tag 23: Ein Song, von dem du denkst, jede/r sollte ihn hören.

Herrje. So missionarisch bin ich doch nicht. Ich will gar nicht jeder/jedem einen Song aufdrücken. Ich will ja auch nicht, dass mir welche aufgedrückt werden. Aber wenn es einen Song gibt, den ich immer wieder gerne Menschen zeige, dann den hier:

Er braucht seine Zeit, sich zu entfalten. Er ist sehr langsam aufgebaut, wird behutsam gesteigert. Aber er ist jede Sekunde wert, von überwältigender Schönheit und Traurigkeit. Als ich in Island unterwegs war, kam er mir in den Westfjorden in den Kopf, und ich habe verstanden, dass dieser Song nur hier geboren sein kann. Konkret war es das Crescendo ab 7:30, das mich damals fast zu Tränen gerührt hat.

 

Island 2013 – Die Westfjorde III (11)

„Sagts, warum habt ihrs denn was zum Essen gekauft? Habts ihr kein Gewehr? Ah na, die ham euch auf der Fähre gefilzt, stimmts?“

Leuchtfeuer vor dem Museum
Leuchtfeuer vor dem Museum

Wir sind also gerade in Ísafjörður angekommen und haben just das Zelt aufgeschlagen. Die ersten Fischfrikadellen brutzeln und ich zerschnipple eine der isländischen Monsterkartoffeln für den zweiten Gang, als ein Motorradfahrer auf sich aufmerksam macht, der etwa 100 Meter von uns entfernt seine Maschine aufheulen lässt.
Wir halten ihn für einen Jugendlichen, der uns Neuankömmlinge auf seine Art begrüßt. So etwas kenne ich aus diversen Bootsfahrten in Holland: kaum legt man im Hafen an, beginnt die Moped-Parade.
Unser Motorradfahrer ist da ein bisschen anders: neugierig fährt er zu uns herüber und grüßt uns auf Englisch. Dann schwenkt er auf Deutsch über: „Sagts, seids ihr Deutsche?“ fragt er mit bayerischem Akzent, und als wir bejahren, betont er wortreich, dass er ein Gespür für so etwas habe – wie er überhaupt ein Gespür für Vieles und eine Meinung zu allem hat.
„Das kann ja heiter werden…“ denke ich und sehe die Überreste eines ruhigen, heißen und vor allem kalorienreichen Essens im Redeschwall verschwinden.
Doch Harald Paul erweist sich als überraschend freundlicher und unterhaltsamer Gesprächspartner, wenn auch mit durchaus vorhandener skurriler Note. Seine Frau und er leben seit etwa 15 Jahren auf einem Motorboot, mit dem sie mehr oder minder alle Weltmeere befahren haben, in der Hauptsache die Arktis.
Er schaut mit einer Mischung aus Appetit und Ablehung auf unser Essen und stellt die Frage nach dem Gewehr, bei seinen Reisen habe er immer nur Mehl dabei, um Brot backen zu können, und etwas Gemüse, und ansonsten gehe er selber auf die Jagd.
Was seine Ausführungen glaubhafter macht, ist die Tatsache, dass er zu jedem Tier und jeder Pflanze den lateinischen Namen kennt.
Er versteht nicht wirklich, dass es für uns nicht praktikabel ist, auch noch ein Gewehr mitzunehmen und nach 100 Kilometern abends im Hochland auch noch was zu jagen – einmal abgesehen davon, dass es dort schlicht nichts gibt, ausser vielleicht Touristen.
Nach einem langen Gespräch verabschiedet er sich, nicht ohne uns auf einen Kaffee auf sein Boot einzuladen.

Am nächsten Morgen besuchen wir das Fischereimuseum nebenan. Der Museumsleiter dort ist sehr freundlich und beeindruckt, dass wir über den Pass vom Dynjandi gekommen sind. Wie Isländer es so machen, gibt er uns einen kurzen Wetterbericht – und er lässt uns kostenlos ins Museum.

Teil des Museums
Teil des Museums
Island und der Walfang. Ein weitaus ernsteres Thema, als ich es hier darstelle.
Island und der Walfang. Ein weitaus ernsteres Thema, als ich es hier darstelle.

Dann suchen wir die „Gypsy Life“, das Boot von Silvia und Harald Paul. Es sieht in der Tat aus, als sei es frisch gekauft; wir können keine Roststelle, keinen Kratzer, keinen Fehler im Lack entdecken – nichts. Harald hatte gesagt, er sei sehr penibel mit seinem Boot, und das ist ein großes Problem: Er ist Umweltschützer und würde gerne möglichst viele Menschen mit auf sein Boot nehmen, um ihnen zu zeigen, wie fragil die Arktis wirklich ist – aber gleichzeitig legt er Wert auf strenge Diszipin, „ja, da ist der Mann streng“, weiß seine Frau beizutragen. Überhaupt reden die beiden nur von sich als „der Mann“ oder „die Frau“: „Der Mann mag es nicht, wenn man…“ – „Die Frau muss da natürlich mitmachen…“ und so weiter.

Silvia und Harald Paul auf der "Gypsy Life"
Silvia und Harald Paul auf der „Gypsy Life“

Liebenswerte und interessante Menschen sind die beiden auf jeden Fall, und nach zwei Kaffees, langen Gesprächen über Umweltschutz, die globale Erwärmung, Inuit und Eisbären, den Unterschied zwischen umsonst und kostenlos, verlassen wir das Boot und schwingen uns auf die Räder – die Fjorde warten. Wer mehr über die beiden erfahren möchte: www.haraldpaul.com

Und so verbringen wir die nächsten anderthalb Tage: man kann sich die Fjorde vorstellen wie eine Hand, deren Finger nach links zeigen. Wir selber sind im Uhrzeigersinn unterwegs, folgen also quasi den Fingern der Hand. In die Fjorde hinein gibt es tendenziell eher Gegenwind, vor allem, weil die Buchten ja trichterförmig zulaufen, der Wind also aus den Bergen in sie heinein bläst. Am Ende des Fjordes über eine Brücke, und dann mit gar-nicht-mal-so-anstrengendem Vollgas zurück ans andere Ende, über den Hügel zum nächsten Ford, und die Schokopause nicht vergessen…

Die Gegend ist schon schick...
Die Gegend ist schon schick…
Schokopause!
Schokopause!

Es wird sehr grün und sehr feucht. Es gibt Moose und Gräser, sogar Gebüsch – und überall plätschert und gurgelt es; hier und da gibt es einen kleinen Wasserfall. Gelbe, durchnummerierte Pfosten am Straßenrand erinnern uns daran, dass es nicht immer so idyllisch hier ist; es sind Markierungen, um den Suchtrupps bei Lawinen die Arbeit zu erleichtern.

Die Hügel sind schichtförmig aufgebaut; man sieht ihnen an, wie sie aus dem Meer herausgeschoben wurden – und noch immer werden.
In Ögur zelten wir am vielleicht schönsten Ort der Reise: etwas abseits der Straße, in einer kleinen, moosigen Senke, von der aus wir direkt in den Fjord schauen können. Es gibt kaum Häuser, aber es ist schön zu beobachten, wie nachts überall kleine Leuchtfeuer erscheinen.

Um in den nordöstlichen Teil der Westfjorde zu gelangen, müssen wir erneut über einen Pass – und der hat es weniger von den Anstiegen, als mehr wegen des Windes in sich. Der Seitenwind ist so stark, dass man sich richtig in den Wind lehnen kann. Teilweise pusten uns Böen einfach über die Straße, sodass wir manchmal stehen bleiben müssen.

Die Holzküste
Irgendwann erreichen wir den Osten der Fjorde und verlassen sie damit langsam. Dieser Teil wird auch Holzküste genannt, weil durch die Meeresströmungen hier sehr viel Treibholz aus Sibirien angespült wird, was im holzarmen Island einen nicht unbedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellt. Philipp geht bei jeder Pause herunter an den Strand, um zwischen Resten von Netzen, Holzstämmen, Müll, toten Fischen nach Muscheln zu suchen, um die Sammlung seines Großvaters zu komplettieren.

Holz, Müll, Trümmer, Steine
Holz, Müll, Trümmer, Steine

In einem Tal treffen wir irgendwann auf einen freundlichen Hund, der nicht nur aufgeregt ist, uns zu sehen, sondern uns auch etwa zwanzig bis dreißig Kilometer begleitet. Wir wissen nicht, wie groß sein Revier ist, aber irgendwann muss er wieder nach Hause, dessen sind wir uns sicher. Nur: wie schickt man einen Hund nach Hause, der nicht unsere Sprache spricht? Irgendwann trollt er sich, und so schön es war, sind wir doch froh, ihn nicht in die Fähre schmuggeln zu müssen.

Trecker am Wegrand
Trecker am Wegrand

Als wir auf die Ringstraße 1 treffen, bedeutet dies zweierlei: erstens haben wir die Westfjorde hinter uns gelassen, zweitens sind wir unweigerlich auf dem Rückweg; ich erinnere mich sehr gut an den ersten Tag, als Philipp beim Verlassen der 1 meinte: „Die sehen wir erst in 1000 Kilometern wieder.“ – und wie unendlich lang es mir damals vorgekommen war.

Mehr Island:
Eine kleine Radtour(1) || Prolog(2) || Fæhre und Færöer(3) || Hochland I(4) || Hochland II(5) || Der „Golden Circle“ (6) Reykjavik (7) || Musik (8) || Westfjorde I (9)

Island 2013 – Die Westfjorde II (10)

Die Westfjorde empfangen uns mit tief stehender Sonne, Kühle und – wie soll es anders sein – spektakulären Regenbögen. Wir beschließen, wenigstens noch ein paar Kilometer selber zu fahren, nachdem die „Baldur“ bisher die Hauptarbeit gemacht hat.

Das ist schon mehr Grün, als im ganzen Hochland zusammen...
Das ist schon mehr Grün, als im ganzen Hochland zusammen…

Und so kommen wir in eine Landschaft, die im krassen Kontrast zur Kargheit des Hochlandes steht, ihm aber in ihrer Eindrücklichkeit um nichts nachsteht.

Man sieht es nicht, aber in diesem Moment bin ich ein bisschen überwältigt von der Landschaft.
Man sieht es nicht, aber in diesem Moment bin ich ein bisschen überwältigt von der Landschaft.

Wir fahren noch mal etwa 30 Kilometer Piste, die sich allerdings überhaupt nicht mit den Pisten im Hochland vergleichen lässt; sie ist frisch aufgeschottert und dementsprechend angenehm zu fahren. Nur bei den Abfahrten müssen wir sehr aufpassen; zugeschobene Schlaglöcher können einen schnell aus der Bahn werfen.
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