Döner – Kalle (42)

iDöner

Als ich nassgeregnet und ein wenig verfroren in die Dönerbude komme, sehe ich Kalle mit einem kleinen Gerät in der Hand. Das Gerät ist glatt; es glänzt, ist flach und viereckig, mit abgerundeten Ecken. Spätestens die wischende Handbewegung verrät: es handelt sich um ein iPhone.

Lieber Gott, nicht auch noch das...

Natürlich ist Kalle stolz wie Oskar: „Kiek ma hier, wat ick Schönet habe! Haste nüscht, wa?“ – Ich mache eine interne Wette mit mir aus. Mal sehen.

„Nee. Hab ich nicht.“ – Obwohl, wenn ich ganz ehrlich bin, nach dem Dahinscheiden meines geliebten Razrs hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, ich meine, das kann ja auch ne Menge, mp3 abspielen, Abertausende von ÄÄÄÄpps, die einem das Leben erleichtern – oder einfach nur Zeit verschwenden, so genau kann ich das nicht differenzieren – und ja, man kann sogar damit telefonieren.

Es brummt und surrt. Teil eins der Wette gewonnen, denke ich im Stillen.

„Kiek mal, ditt is een Lischtschwert, so wie de Jedis eens haben. Dit summt je nachdem, wie du das schwingst.“

Kalle holt ein paar Mal aus, schlägt mir virtuell den Kopf ab, sticht ein, zwei Mal zu.

Für einen kurzen Moment stelle ich mir Kalle mit den Haar-Ohrschnecken von Prinzessin Leia vor… aaah! Bilder! In! Meinem! Kopf!

Der Döner-Jedi hat sein virtuelles Schwert inzwischen wieder abgeschaltet und wechselt zur nächsten App…

„Ditte hier, dit find ick ooch puppenlustig.“ Er öffnet das Papierkugelschnippsspiel. Teil Zwei meiner internen Wette. Gewonnen…

„HA! Das kenne ich! Zeig mal her, was hast du denn so für Rekorde?“

Kalle rückt das iPhone nur widerstrebend raus, aber ich erpresse ihn mit seinem schlechten Gewissen – schließlich bin ich Kunde, und er soll mir eine Falafel machen.

Wollen wir doch mal sehen… nachdem die Falafel dampfend bei mir auf dem Tisch steht, habe ich den Rekord bei „Airport“ von 8 auf 23 Papierkugeln erhöht.

„Ach du meine Nase!“ entfleucht es Kalle, und er wird kreidebleich. „Wie soll ick’n dit knacken?“

„Mweisch isch mnich.“ – ja, ja. Nicht mit vollem Mund sprechen…

„Aber dit Beste kennste noch ja nich. Dit muss doch een Fest für so nen Musikfreak wie dich sein. Pfeif mal was!“

Ich ahne, worauf der Dönermann vor mir hinaus will. Wische also meinen Mund an einer Serviette ab, trinke einen Schluck Fritz Kola und pfeife ein Lied von Madeleine Bloom. Hehe…

Kalle schaut erwartungsvoll auf den Bildschirm. Dann überrascht, schließlich verärgert. „Du hast et kaputt jemacht. Bei mir ging dit mit jedem Lied, und nun pfeifst du irgendwat und et jeht nischt. Biste sischer, das dit überhaupt een Lied ist?“

„Ja, und sogar ein sehr schönes.“ Aber ich will mal nicht so sein und – singe.
Ab und an kann auch ich das.
Und zwar ist es die Nationalhymmne. Die erste Strophe. Ich hab da nämlich so was gehört…

Und tatsächlich! Als ich Kalle über die Schulter schaue, sucht das Programm nach dem Lied. Da steht es auch: „Deutschlandlied, 1.Strophe“.

Kalle lächelt zufrieden und will mich gerade wegen meines subversiv nationalistischen Gedankenguts tadeln, als er plötzlich erbleicht.

Der Bildschirm des iPhones ist nämlich kurz schwarz geworden, um danach ein Bild von Steve Jobs in Polizeiuniform zu zeigen. Gleichzeitig ertönt eine schwere Stimme und erzählt uns, wir hätten verbotene Lieder gepfiffen und dass – selbstverständlich nur, um uns vor uns selbst zu schützen – die Polizei, Wolfgang Schäuble – ach nee, de Maizere – und Apple darüber informiert wurden, ebenso werde das Telefon vorsorglich für eine Woche gesperrt.

Die Bleiche in Kalles Gesicht weicht einem zarten Rosé, welches recht schnell in Puterrot übergeht. Er greift mit beiden Händen an die Stelle, an der bis vor eben noch mein Hals war – und greift ins Nichts.

Und ich kriege beim Laufen noch immer Seitenstiche, wenn ich lauthals lache…

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